Sozialpolitik

Gesamtgesellschaftlicher Hintergrund

Die EU-Mitgliedstaaten verfügen über die weltweit am besten entwickelten Sozialsysteme. Die Bevölkerung der EU stellt ca. 7% der Weltbevölkerung dar, sie produziert ca. 20% des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP), ihr Anteil an den globalen öffentlichen Ausgaben für soziale Sicherung beträgt ca. 40%1.

Das österreichische Wirtschafts- und Sozialsystem hat die bisherigen historischen Transformationen des Produktions- und Beschäftigungssystems vergleichsweise gut überstanden: Anders als in anderen OECD-Ländern haben weder der Übergang zur Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft noch die Wirtschafts-, Finanz- und Coronakrise offene Massenarbeitslosigkeit oder eine massive Verarmung der Bevölkerung ausgelöst.

Als effektive Strategie dafür erwiesen sich die sozialstaatlichen Institutionen: zuverlässige öffentliche Daseinsfürsorge, die Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungen, gute und verfügbare soziale und Bildungsdienstleistungen und ein Beschäftigungssystem, das der Mehrzahl der Beschäftigten eine gute und auskömmliche Arbeit bietet. Dieses Institutionengefüge im Zusammenspiel mit dem Markt garantiert der Mehrheit der Bevölkerung einen mittelschichtsgeprägten Lebensstandard. Die fortgesetzte Digitalisierung der Produktionsprozesse stellt eine immer stärker werdende zusätzliche Herausforderung für das Sozialgefüge in Österreich bzw. in Europa dar, weil weniger qualifizierte Tätigkeiten nach und nach von der digitalen Automatisierung abgelöst werden.

Prekäre Lebenslagen, verursacht durch unsichere Beschäftigungsverhältnisse, niedrige Löhne oder Langzeitarbeitslosigkeit, haben in der jüngsten Vergangenheit zu struktureller Armut geführt, die sehr oft mit einem geringen Grad an (schulischer und beruflicher) Bildung einhergeht. Weiters ist zu beobachten, dass dieser Lebensumstand meist an die nächste Generation weitergegeben wird. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) betont, dass besonders Kinder aus Familien in sozial benachteiligten Lebenslagen geringere Chancen auf Bildung und auf eine gute und nachhaltige Erwerbsintegration haben2.

Vor diesem Hintergrund steht die VISION ÖSTERREICH für folgende Ziele:

  • Gestaltung einer lebensdienlichen Ökonomie mit all den dafür sozial notwendigen Rahmenbedingungen, die für ein geglücktes Leben hilfreich sind;
  • Sicherstellung, dass sich prekäre Lebensverhältnisse durch Einsatz, Leistung und gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu sozial integrierten Lebensweisen wandeln können.

Dazu gehört u.a. eine stringente Asylpolitik, ein konsequenter und kontrollierter Umgang mit Spracherwerb und Ermöglichung der Erwerbsteilhabe für betroffene Menschen im Zusammenspiel mit sozialen Hilfsmaßnahmen.

Die sozialen Hilfsmaßnahmen sollen neu strukturiert und vereinfacht werden, damit es nicht zur ungerechtfertigten Bevorzugung oder Ungleichbehandlung von Anspruchsberechtigten kommen kann. Eine Neugestaltung der Existenzsicherung und sämtlicher damit verbundener Dimensionen erachten wir als notwendig.

Pension

Das österreichische Pensionssystem basiert auf dem Umlageverfahren. Pensionsbeiträge, die heute in das System fließen werden direkt an derzeitige Pensionsbezieher ausbezahlt. Somit kommen die Arbeitnehmer von heute gänzlich für die Pension heutiger Pensionisten auf und sorgen für ihre eigene Pension nur dadurch vor, dass sie einen Pensionsanspruch erwerben und keine Rücklagen bilden. Damit die Arbeitnehmer von heute als zukünftige Pensionisten überhaupt eine Pension erhalten können, muss sichergestellt werden, dass auch in Zukunft Beitragszahler da sind, die in das System einzahlen. Dieses System ist bereits jetzt aus dem Ruder geraten: Laut Zahlen von 2020 stiegen die Ausgaben des öffentlichen Pensionssystems auf 60 Mrd. Euro, von denen 24,7 Mrd. Euro nicht aus Beitragseinnahmen, sondern aus einem staatlichen Steuerzuschuss stammten3. Das System trägt sich selbst nicht mehr, da der Staat bereits über 40% davon mit Steuergeldern subventioniert, die anderswo fehlen. Unter diesem Aspekt ist es wichtig, dass die Generationsschere nicht noch weiter auseinandergerät und auch die junge Generation die Aussicht auf eine auskömmliche staatliche Pension hat.

Beihilfen

Das Beihilfensystem gerät ins Wanken, immer weniger Erwerbstätige müssen immer mehr Beihilfebezieher finanzieren. Dadurch droht das Sozialsystem zusammenzubrechen.

Die demografische Krise erreicht Pensions-, Kranken- und Pflegeversicherung, sie beruht auf der Voraussetzung, dass nachfolgende Generationen mindestens ähnlich groß sind wie die vorhergehenden. Die Beitragsfinanzierung der Sozialabgaben wird von der arbeitenden Bevölkerung entrichtet. Eine Arbeitsmarktpolitik, die auf Vollbeschäftigung ausgerichtet ist und die im Verhältnis zu den Beitragsbeziehern steht, sichert die Finanzierung des Sozialversicherungssystems. Dass aktuell sehr viele Stellen unbesetzt sind und das AMS hohe Beschäftigungszahlen vorlegt, zeigt, dass dringende Reformierungen notwendig sind. Zusätzlich erdrücken Steuern und Sozialabgaben von Arbeitsleistungen mit zum Teil über 50% Arbeitgeber und Arbeitnehmer, während Kapital, das auch „arbeitet“, mit „nur“ 27,5% besteuert ist; allein der Anteil der Sozialabgaben am Arbeitnehmereinkommen inkl. Lohnnebenkosten des Arbeitgebers beträgt über 30%.

Die Einschränkungen des staatlichen Sozialversicherungssystems sind deutlich. Dies bedeutet vor allem, dass zukünftige Generationen nicht mehr wirkungsvoll vor z.B. Altersarmut und Armut generell geschützt werden können. Mit einer stärkenden, aktivierenden Familienpolitik für die Beihilfen (Sozialversicherungen) hätte man zeitgerecht reagieren müssen. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist der zu forcierende Ausbau der Altersvorsorge. Der bestehende „Generationenvertrag“ im Umlagesystem ist mittlerweile auch mittelfristig nicht mehr durch den Staat alleine finanzierbar. Es braucht somit wesentliche Anreize, dass neben der staatlichen Säule auch private und betriebliche Vorsorgeinstrumente substantiell zum Tragen kommen können. Eine entsprechende großzügige steuerliche Begünstigung von Vorsorgeinstrumenten ist dafür unabdingbar.

Mindestsicherung/Sozialhilfe

Die geläufige Meinung, Sozialhilfe bezögen nur Menschen, die nicht arbeiten wollen, ist falsch. Zwei Drittel davon sind Menschen, die zu jung oder zu alt für Erwerbsarbeit sind. Das restliche Drittel sind Menschen, die sich um pflegebedürftige Angehörige oder Kinder kümmern. Dazu zählen auch Personen in Ausbildung und jene die nicht arbeitsfähig sind, oder sich gerade in Abklärung ihrer Arbeitsfähigkeit befinden.4

Die Sozialhilfe sollte als Netz im Sozialstaat Österreich dienen. Die große Anzahl derer, die zu wenig verdienen und auf die Sozialhilfe zum Aufstocken zurückgreifen, zeigt jedoch, dass die Sozialhilfe dort hilft, wo andere Sozialleistungen versagen. Arbeit sollte eine existenzsichernde Wirkung haben, verfehlt diese jedoch regelmäßig. Zudem sollten Menschen auch ohne Mindestsicherung abgesichert sein und nicht Gefahr laufen müssen, ihr Hab und Gut zu verlieren oder keine sichere Zukunft aufbauen zu können. Da dies nicht mehr der Fall ist, muss es neue Lösungen für soziale Sicherheit geben. Der Fokus auf qualitätsvolle Hilfe zur Selbsthilfe muss fachübergreifend diskutiert werden und multiprofessionell konzeptioniert werden.

Kinderbetreuungseinrichtungen

Eng verbunden mit dem Arbeitsmarkt und der Arbeitsfähigkeit ist das Angebot einer leistbaren Kinderbetreuung, die im Rahmen der allgemeinen Öffnungszeiten hinaus angeboten werden soll. Die meisten Betreuungseinrichtungen haben weniger als sieben Stunden täglich geöffnet. Bedarf von 06:00 Uhr morgens bis über 18:00 Uhr hinaus ist gegeben und muss für Eltern leistbar sein. Der Generationsvertrag wird nur von Familien mit Kindern erfüllt, welche neben der Arbeit auch Kinder großziehen, die später einmal selbst in das System einzahlen können. Kinderbetreuung kostet bis das Kind 12 Jahre alt ist allerdings einen Mittelklassewagen und deckt dennoch meist nur den Rahmen der Öffnungszeiten ab. Zudem werden Volksschulkinder in den Horten eher betreut, sodass es vor allem für Alleinerziehende schwierig ist, Arbeit, Kindesbetreuung und Kindesbildung zu kombinieren.

VISION ÖSTERREICH setzt sich für einen Ausbau öffentlicher Kinderbetreuung inkl. Kinderförderungsmöglichkeiten ein, die weitgehend aus Steuermitteln finanziert werden sollen. Dadurch sollen alle einer geregelten Arbeit nachkommen und sich einen Pensionsanspruch erarbeiten können. Genau diejenigen, welche mit Ihrem Nachwuchs unserem System eine Zukunft geben, brauchen Entlastung und Perspektive.

Sozialstaatlichkeit

Der Sozialstaat soll optimiert und weiterentwickelt werden. Die neoliberalen Rückschritte vergangener Jahre müssen dringend aufgehoben werden.

Nun gilt es, die Autarkie der Menschen in Österreich von der Elementarbildung im Kindergarten bis hin zum Ende ihrer Erwerbstätigkeit zu stärken, anstatt sie zu alimentieren und in staatliche Abhängigkeiten zu treiben. Chancen der Bildung, Weiterbildung, Umschulung und Existenzsicherung mit Fördermittel gilt es zu ermöglichen. Die Menschen sind zu begleiten und effektiv zu beraten, damit sie aus Dauerschleifen der Sozialhilfe und des Bezugs der Notstandshilfe herausfinden und ihre Existenz wieder eigenständig aufrechterhalten können.

Soziale Chancengleichheit

Hierbei sind mehrere Ebenen anzuführen:

  • Gleichstellung der Einkommen von Männern und Frauen;
  • Höhere Löhne und mehr Netto durch Reduktion von Lohnnebenkosten und Neuausrichtung von Sozialabgaben auf einen ausgewogenen sowie generationsgerechten Rahmen;
  • Chancengleichheit für Jung und Alt, um sicherzustellen, dass auch Menschen in reifem Alter noch Chancen am Arbeitsmarkt haben;
  • Förderung neuer Beschäftigungsmodelle (wie z.B. 4-Tage-Woche);
  • Nachhilfe soll staatlich gefördert werden, bis das Schulsystem erneuert und umgestellt worden ist;
  • Förderung der ungleich verteilten gesellschaftlichen und soziokulturellen Teilhabe, insbesondere in sozialen Brennpunkten;
  • Soziale Mischung der Bevölkerung (vorwiegend in besonders betroffenen Stadtteilen).

Pflege

Im Bereich der Pflege schlägt die VISION ÖSTERREICH folgende Maßnahmen vor, um dem schwelenden Pflegenotstand und dem darin eklatanten Fachkräftemangel mit all seinen destruktiven Nebenwirkungen (Ruhigstellung der Gepflegten, medikamentöse Überdosierungen, Massenbetrieb, fehlende menschliche Zuwendung) entgegenzuwirken:

  • Anerkennung (auch finanziell) von familiären Pflegeleistungen im privaten Umfeld, die der Staat andernfalls mit Pflegeplätzen und Pflegepersonen abzudecken hätte;
  • Völlige Öffnung von Pflegeeinrichtungen für jede Art von sozialen Kontakten, ohne Auferlegung von Beschränkungen oder Zugangsvoraussetzungen, um der Vereinsamung der Gepflegten entgegenwirken zu können;
  • Inklusion von Menschen mit Einschränkungen gegen Vereinsamung in Pflegeanstalten – behütendes und nährendes System für bedürftige und zu pflegende Menschen.

Umwelt versus Soziales

Die Kontroverse „Umwelt“ versus „Soziales“ soll in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt integriert werden. Es gilt neue Berufe zu schaffen, die die Umwelt schützen anstatt Klimaabgaben zu forcieren.

Familie

In puncto Familie strebt die VISION ÖSTERREICH Neuregelungen in folgenden Bereichen an:

  • Obsorge- und Unterhaltsregelungen: das Einführen eines Familienstatus für verschiedene Familienkonstellationen (alleinerziehend, Patchwork, …);
  • Die Familie als Grundbaustein der Gesellschaft muss wieder als solche bewertet und anerkannt werden, z.B. die Wichtigkeit der Eltern für die Entwicklung ihrer Kinder;
  • Karenzzeit für beide Elternteile;
  • Kindererziehungszeiten sollen adäquat an die Pension angerechnet werden;
  • Wahlfreiheit des Kindergartens – Ermöglichung und Vereinfachung des Eröffnens von eigenen Betreuungsgruppen:
    • Sicherstellung der Kinderbetreuung durch die eigene Familie und (auch finanzielle) Anerkennung der durch die Familien geleisteten Betreuungsaufgaben (ähnlich dem Instrument des Pflegevermächtnisses);
    • Ausbau der Förderung des betrieblichen Betreuungsangebotes und Lernangebotes bis zur Matura;
    • Gleichstellung der Ausbildung von Kindern im häuslichen Unterricht mit regulären Schulen und finanzielle Unterstützung der handelnden häuslich Unterrichtenden, analog zu dem im Unterrichtsministerium verwendeten Geldbetrag der Werteinheit pro schulpflichtigem Kind.
  • Unterstützungsangebote der Kinder- und Jugendhilfe müssen dem Erhalt der Familie dienen;
  • Wahrung des Rechts der Kinder auf beide Elternteile, Evaluierung der gerichtlichen Entscheidungen im Falle von Obsorge / Besuchsrecht:
    o fairere und einfachere Modelle für Obsorge- und Unterhaltsregelungen;
    o Zuerkennung eines „Familienstatus“ für verschiedene Familienkonstellationen (Ehepaar mit Kindern, alleinerziehend, Patchwork, …);
  • Gelungene Inklusion von Menschen mit (körperlichen, kognitiven, psychischen) Beeinträchtigungen.

Unterstützung der Bürger

Laufende Evaluierung der Behörden sowie der dazugehörigen privaten Einrichtungen im Sozialbereich durch externe, unabhängige Stellen (Dritte), um den Bürger vor möglicher Willkür durch Beamte oder Gutachter zu schützen.
Im Zuge der Teuerung müssen alle Beihilfen angehoben werden und den Menschen sofort zugänglich gemacht werden. Berechnungsgrundlagen aus dem Vorjahr dürfen nicht mehr angewandt werden (bspw. Wohnbeihilfe). Dafür notwendig und anzudenken sind u.a. Mindestlöhne, eine Mindestsicherung sowie eine Vielzahl an finanziellen Hilfeleistungen (Notstand, Familie, Miete, Wohnen, Heizen, Strom, Telefon, Schule, GIS-Befreiung uvm.).

Die bisher entwickelten Sozial-Indikatoren laut Bundesministerium für Soziales scheinen auf den ersten Blick geeignet zu sein, laufend Auskunft über die soziale Entwicklung des Landes zu geben und sollten daher bis auf Weiteres auch künftig eingesetzt werden:

  • Lebensstandard
  • Wohnraum
  • Erwerbsleben
  • Bildungschancen und
  • Gesundheit (Work Life Balance, Erhalt der Gesundheit)

1 https://www.wko.at/site/WirtschaftspolitischeBlaetter/hornung-draus-zukunft-des-sozialen-europas.html [Abruf: 30.10.2022].
2 https://www.frankfurter-hefte.de/artikel/die-zukunft-des-sozialstaats-in-einer-digitalisierten-welt-2620/ [Abruf: 30.10.2022].
3 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20211125_OTS0012/oeffentliche-ausgaben-bei-oesterreichs-pensionen-erklimmen-historischen-hoechststand-und-gefaehrden-pensionssicherheit-in-oesterreich [26.11.2022].
4 https://www.momentum-institut.at/news/mindestsicherung-2021 [26.11.2022].